von Joshua

Die Quelle des Lebens

Vor langer, langer Zeit gab es einmal ein Dorf, in dem etwas sehr Seltsames geschah und die Welt mit einem offenen Rätsel zurückließ. Seitdem wird die Geschichte von Mund zu Mund weitergetragen und wartet bis heute auf denjenigen Menschen, der es versteht, dieses Rätsel zu lösen.

Du musst lange in der Zeit zurückgehen, um den Anfang der Geschichte zu erreichen. Wenn du dort angekommen bist, findest du inmitten einer großen Wüste ein kleines, unscheinbares Dorf, das in einer ungewöhnlich fruchtbaren Oase verborgen liegt. Unerschöpflich sprudelt darin die kristallklare Quelle des Lebens. Die Bewohner des Dorfes sahen das, was da war und nährten sich aus der Fülle. Sie tranken erquickt aus der Quelle und lebten die Träume, die daraus entsprangen. Nicht selten sah man sie in den sternenklaren Nächten am gemeinsamen Feuer, wo sie frei tanzten und die fröhlichsten Lieder sangen. Ihre Herzen waren voller Wärme und in ihrem Lächeln spiegelte sich die Leichtigkeit eines glücklichen Lebens wider. Doch es waren nicht nur die Menschen, die aus dem klaren Wasser der Quelle tranken. Auch die Blumen wuchsen lebendig in allen Farben zwischen den bunten Häusern und vermischten vergnügt ihren Duft mit der Freude dieser Menschen.

Dann aber kam es, dass ein durstiger Wanderer nach Anbruch der Dunkelheit in die Nähe des Dorfes gelangte. Er trug eine schwere Last und ächzte ununterbrochen mit jedem seiner Schritte. So wie das Schicksal es wollte, begegnete er einem der Dorfbewohner, der gerade besinnlich auf einer Düne saß und dem stillen Rauschen des Wüstenwindes lauschte. Als er das Stöhnen des Wanderers vernahm, hörte er verdutzt auf zu atmen. „Wer bist du?“ fragte er. Anstatt wirklich darauf zu antworten, erzählte ihm der Wanderer von der großen Last, die er zu tragen hatte und beharrlich auf seinem Rücken mit sich herumschleppte. Etwas verwirrt kehrte der Wüstenbewohner ins Dorf zurück. Von sich konnte er nicht erzählen, dass er so eine große Last auf seinem Rücken trug. Das Leben in der Oase war geprägt von Leichtigkeit. Etwas in ihm fühlte sich auf einmal leer an. „Was wohl die anderen Bewohner von mir halten werden, wenn auch ich so eine große Last tragen kann?“ fragte er sich schon ganz in Gedanken verloren.

Am nächsten Tag hatte er sich etliche Steine aufgeladen und kehrte zurück zu dem Wanderer, der immer noch durstig nach Wasser lechzte. „Schau dir an, was ich heute tragen kann“ sagte er stolz zu dem Wanderer. Dieser schenkte ihm anerkennend einen stummen Blick der Akzeptanz. Er hatte seinen Durst nicht gestillt, aber er fühlte sich in Gesellschaft schon etwas besser. „Immerhin einer, der mich erkennt“ dachte er. So begannen sie einvernehmlich ihre große Last um das Dorf herumzuschleppen. Sie ächzten und stöhnten mit jedem Schritt.

Keiner weiß genau wieso, jedoch wiederholte sich dieser Vorgang auf mysteriöse Art und Weise, bis sich schließlich das ganze Dorf um den Wanderer versammelt hatte. Gemeinsam schleppten sie immer mehr Steine durch die Wüste. Sie ächzten und stöhnten und schliffen sich mit gebeugtem Rücken durch den trockenen Sand der Wüste. Mit ernster Miene, jedoch stets durstig und nach Luft japsend, erzählten sie sich gegenseitig von ihrer großen Last, die sie nun zu tragen hatten. Manche schafften es sogar einen kleinen Turm aus Steinen auf ihrem Rücken zu bauen und wackelig mit ihnen herumzuschleppen. Wenn dann mal einer davon auf ihren Kopf fiel, nannten sie es „kompliziert“ und ächzten und stöhnten noch ein bisschen lauter. Es entstand ein qualvolles Klagelied, das sich immer schwerer über dem einst so lebendigen Dorf niederlegte.

Die Zeit verrann im Nichts und mit den Erinnerungen der Dorfbewohner verblassten auch die Farben der Häuser allmählich zu einem tristen Grau. Selbst die Blumen verloren ihren Duft und verließen mit hängenden Köpfen entwurzelt das Dorf. Aus einem Ort des Lebens war ein Ort verlorener Einsamkeit geworden, in dem die Stille der einzig willkommene Gast war.

Nun geschah inmitten dieser Einsamkeit und Stille ein kleines Wunder. Mit der Quelle des Lebens verbunden, wuchs eine kleine zarte Blume mit feinen Farben inmitten einer grauen Welt heran. Mutig verströmt sie seitdem einen lieblichen Duft, der in den Farben der Freude die Geschichte dieses Dorfes erzählt. Sie wartet geduldig auf diejenigen unter uns, die durstig die Quelle des Lebens suchen.

Gestern war ich klug und wollte die Welt verändern. Heute bin ich weise und möchte mich verändern.

Rumi

Ein Freund ist ein Mensch, der die Melodie deines Herzen kennt und sie dir vorspielt, wenn du sie vergessen hast.

Albert Einstein