von Joshua
Die Kunst der inneren Stille
Innere stille ist in meinem Leben wesentlich. Ich vertraue dieser mystischen Leere, die doch so voller Fülle ist. In ihr weiß ich mein Wesen geborgen, in ihr kann ich meiner Seele lauschen und meine innerste Wahrheit berühren. Ich habe die Stille für ihre Qualität schon immer geschätzt, war sie doch stets ein sicherer Zufluchtsort für mich, den ich aufsuchen konnte, wenn die Welt um mich herum zu laut geworden war. In der Stille kann ich atmen und – wenn ich mich in der Hektik des Alltags verlaufen hatte – den Weg zurück zu mir finden.
Die Stille hat viele Facetten. %: sie ist leise und laut, sanft und unberechenbar. Um sie zu ergründen, war ich in den urgewaltigen Bergen des Himalayas, meditierte in dunklen Höhlen und schwamm in reinsten Gebirgsseen. Ich meditierte im lebendigen, nie schlafenden Regenwald Brasiliens bei Tag und bei Nacht. Ich war alleine und ich war mit vielen verschiedenen Menschen unterwegs und habe meiner und deren Stille gelauscht. Irgendwann brach ein stilles Wissen über mich herein, auf das ich trotz all meiner Vorbereitungen nicht vorbereitet war. Es veränderte grundlegend die Art und Weise mein Leben zu leben. Seitdem weiß ich die Stille in mir und ich mich in ihr.
Innere Stille im Alltag zu kultivieren ist eine Kunst, die durch viel Hingabe gelernt werden möchte. Schließlich begeben wir uns mit ihr von einer Welt, die durch das Außen geprägt ist, in eine Welt, die durch das Innere geprägt ist. Solche Schwellen zu überschreiten erfordert viel Sensibilität und Sanftheit mit unserem Wesen und damit auch Fertigkeiten, um damit umzugehen, die wir oft erst lernen müssen. In der Stille wirst du dir selbst begegnen. Solch ein zärtlicher Moment der Begegnung ist zu kostbar, um ihn nicht entsprechend zu zelebrieren.
Es gibt viele Schwierigkeiten, die auf dem Weg in die Stille auftreten können. Neben einem liebevollen Umgang mit den auftretenden Hindernissen, halte ich eine persönliche Vorbereitung für wesentlich, bevor du in die Stille gehst. Durch eine sanfte Vorbereitung erschaffst du einen inneren Raum in dir, in dem sich die Stille wohlfühlen kann. Du bereitest dann deinen Körper und dein emotionales und kognitives Erleben auf die Stille vor und lädst dein ganzes Wesen ein wach und anwesend zu sein.
Indem du dir Zeit nimmst, um dich auf die Stille vorzubereiten, gibst du der Stille einen Wert, der über die reine Zeit mit der Stille hinausgeht. Mit jeder Vorbereitung pflegst du einen Raum in dir, in dem sich die Stille als Gast zu Hause fühlen kann. Dadurch entsteht etwas, das auch in Abwesenheit der Stille noch in dir vorhanden ist und weiter gepflegt werden kann. Ganz unabhängig davon welche Technik des \enquote{In-die-Stille-Gehens} du also bevorzugst, mit einer wertschätzenden Vorbereitung gibst du der Feinheit der inneren Stille einen Raum, in der sie sich beheimaten kann.
Von der Natur lernen
Meditation führt uns in einen Zustand, in dem unserer Zellen voller Leben aktiviert vibrieren. Unser Geist ist hellwach und aufmerksam. Wir fühlen uns wahrhaftig verbunden mit allem Leben und erleben uns als Teil von etwas Größerem. In diesem Sein erblüht die Stille in ihrer vollen Schönheit. Alles ist ein Ausdruck schöpferischer Schönheit und Vielfalt. Wir betreten ein Mysterium, in dem das reine Sein das höchste Gut ist und unsere Existenz Teil eines großen Wirkens ist.
Meditationstechniken sind auf dem Weg dahin als Wegweiser zu verstehen nach denen man sich richten kann. Dennoch muss letztlich jeder seine eigenen Schritte gehen und macht damit auch eigene Erfahrungen. Wir sollten nicht außer Acht lassen, dass wir uns auf einem Weg befinden, dessen Ziel wir nicht genau kennen. Vielfach wird es uns von anderen beschrieben und die Resonanz unserer Sehnsucht dient uns auf diesem Weg als einziger Kompass.
Es lohnt sich immer mal wieder innezuhalten und sich zu fragen, wo man denn gerade ist, wo man hergekommen ist und wo man hin möchte.
Meine größte Lehrerin ist die Natur. Die Natur erinnert mit ihrem Wesen des Natürlichen an wesentliche Qualitäten des Lebens, die im Alltag allzu leicht verloren gehen. Du musst wissen, dass die meisten Meditationstechniken zu einer Zeit entwickelt wurden, in der wir Menschen noch mehr mit der Natur gelebt haben. Spirituelle Suchende haben meist mehrere Jahre bei ihren Meistern, umgeben von wilder Natur in schlichter Einfachheit, gelebt. Die geordneten, schnelllebigen Strukturen unserer modernen Zivilisationen erschweren uns heute ein Betreten der einfachen und sehr ursprünglichen Seelenräume, die sich in uns befinden. In der Wildnis der Natur können wir hingegen viel leichter damit in Kontakt treten. Die Reinheit, Schönheit und Ursprünglichkeit der wilden Natur bewirkt ganz von selbst ein Staunen, das uns fast magisch mit unserer inneren Stille in Berührung bringen kann. Ohne Worte können wir demütig erleben, dass auch wir Natur sind und uns wehmütig wieder daran erinnern lassen, was Leben ist.
Um das ein bisschen nachzuempfinden, schlage ich dir vor, einmal den Sonnengesang von Franz von Assisi oder ein schönes Naturgedicht einmal bei dir zu Hause und einmal nach einem Tag, den du in freier Natur verbracht hast zu lesen. Du wirst vom Unterschied der inneren Empfindungen überrascht sein. Wenn der Verstand ruhig und einfach wird, entwickelt die Sprache des Herzens ihre eigene Weisheit und lehrt uns, wonach sich unsere Seele dürstet.
Ein alltagstauglicher Zugang zu einer erfüllten Stille
Wir brauchen also vor allem Zeit, am besten noch in der Natur, um eine erfüllte innere Stille berühren zu können. Leider ist in unserem Alltag ein längeres, absichtsloses Verweilen in der Natur räumlich und zeitlich meist nicht so einfach möglich. Deshalb ist für uns moderne Menschen auch ein anderer Zugang in die Stille erforderlich. Wir können nicht einfach das Gleiche machen, wie Menschen mit ganz anderen Lebensumständen, und dann die gleiche Wirkung erwarten. Sicherlich werden wir im Alltag nicht die gleiche Tiefe erreichen, wie mit längeren Auszeiten, doch können wir mit einer guten Vorbereitung die Qualität der Stille bedeutend erhöhen.
Wie könnte das aussehen? Machen wir uns zuerst einmal bewusst, dass jede Methode des \enquote{In-die-Stille-Gehens} nur mit dem arbeiten kann, was sich gerade in unserer Aufmerksamkeit befindet. Wenn das erst mal nur die Alltagsgedanken sind, dann kann auch die beste Technik der Welt nicht viel mehr herausdestillieren als eben diese Alltagsgedanken in hoch konzentrierter Form. Dies kann dann eine überraschend laute Erfahrung für uns werden und gerade nicht dass, wonach wir eigentlich suchen. Wenn du einen entsprechenden Raum in dir schaffst, dann werden die Techniken dir helfen, ihn weiter zu verfeinern.
Spirituelle Traditionen säen sehr feine Samen, die genährt werden wollen und mit viel Geduld und Hingabe immer wieder neu bestärkt werden müssen. Es sind sehr reine Schwingungen, die Zeit brauchen, um sich in dir auszudehnen. Jeder Moment des Innehaltens trägt dazu bei. Es sind die vielen kleine Momente, in denen du ruhig wirst, bewusst atmest und dir deiner selbst bewusst wirst, bei denen diese Samen Sonne und Wasser erhalten, um zu wachsen. Es sind die vielen kleinen Momente, in denen du dich verbindest, die sich dann in deiner inneren Stille ausbreiten können.
Wir sollten uns also im Prinzip in jedem Atemzug auf die Stille vorbereiten, um das zu nähren, was wir wirklich leben möchten. Das hört sich natürlich sehr viel an. Es ist aber ganz einfach. Schließ doch mal kurz die Augen und atme ein bisschen – nur für dich. Und dann? Tue es einfach nochmal… Es ist die Zeit die uns zeigt, welche Strecken wir Schritt für Schritt zurückgelegt haben.
Jeder Moment der Kontemplation sehr kostbar. Wir können uns nicht oft genug uns selbst bewusst werden und uns an unsere Existenz erinnern: du hast einen Körper, du kannst denken, du kannst fühlen und du kannst handeln. Wenn du dir selbst bewusst bist, kannst du dein eigenes Leben wirklich im Einklang mit dir gestalten. Jeder einzelne Moment, den wir bewusst mit uns selbst verbringen, pflanzt einen Samen der Bewusstheit, der in unserem Leben keimen und wachsen kann. Nimm dir auch die Zeit, um deinen Körper mit all seinen Zellen zu aktivieren. Gib dir Zeit zum Spüren und vertiefe dein Fühlen. Was empfindest du? Wie empfindest du? Werde dir selbst bewusst.
Ich würde dir raten die zum Anfang regelmäßig Zeit dafür zu nehmen. Du wirst dir dann leichter tun eine gute Grundlage zu entwickeln. Zum Beispiel bietet sich der Morgen an, um dich für diesen Tag auszurichten oder der Abend, um den gelebten Tag in dir zu spüren. Verweile mit dir und lausche.
Nun kommt etwas sehr Wichtiges, etwas an das uns die Natur erinnert. Reinige deinen Geist mit den höchsten und reinsten Qualitäten, die dir gerade zur Verfügung stehen. Verbinde dich mit der Freude, der Dankbarkeit, dem Mitgefühl, der Liebe, der Verbundenheit und der Schönheit. Erinnere dich daran, dass du alles in dir hast, was du gerade brauchst. Alles ist in dir. Fühle diese Qualitäten in deinem Herzen und atme. Gib dir Zeit. Habe Vertrauen und erlaube diesen Qualitäten sich in dir auszudehnen. Mit jedem Mal webst du ein feines Band der Kontemplation, dass sich immer mehr durch deine Zellen flechtet und dich weiter durch dein Leben begleiten wird.
Je wacher, gereinigter und ausgerichteter du in die Stille gehst, desto tiefer wirst du in dich und deine Wahrheit eintauchen können. Auf diese Weise kannst du den Alltag jederzeit auf eine sanfte Art verlassen, einen erfüllten Raum tiefer Stille betreten, und mit dir und deinem Wesen verbunden wieder in den Alltag zurückkehren. Die Frequenz der Stille wird sich so immer mehr in dir ausdehnen und zu deiner inneren Quelle für einen wahrhaftigen, schöpferischen Ausdruck des Lebens werden.
Nimm dir noch ein bisschen Zeit für dich, schließ deine Augen und schenke dir ein einfaches, inneres Lächeln.
Lausche deinem Wesen und lasse dich berühren.